Historisches
Zur niedersächsischen Verkehrsgeschichte – die Entwicklung des Straßenbaus in Niedersachsen
1. Kunststraßenbau (1764-1803)
Nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) waren die Heer- und Handelsstraßen in sehr schlechtem Zustand. Auch vorher hatten sich die Träger der Straßenbaulast – das waren die Anlieger der Straßen – ihren Aufgaben entzogen, weil die "Wegebesserung" eben eine unangenehme Last war, die nichts als harte Arbeit aber keine Vorteile einbrachte.
In dieser Zeit wurde der Straßenbau, ausgehend von Frankreich, als wichtige staatspolitische Aufgabe erkannt. Um eine aktive Handelsbilanz zu erzielen, wie es der Merkantilismus zur Vergrößerung des Reichtums eines Landes empfahl, mussten Gewerbe und Handel gefördert werden. Unabdingbare Voraussetzung hierfür war ein gut ausgebautes Straßennetz. In der Mitte des 18. Jahrhunderts begann man daher mit dem Bau von Chausseen, d. h. "kunstmäßig" ausgebauten Fernstraßen.
So auch im Kurfürstentum Hannover. Es war die Zeit der Personalunion mit England. König Georg III. von England, der zugleich Kurfürst von Hannover war, schuf die noch heute existierende Straßenbaubehörde – zunächst an den etablierten Verwaltungsstrukturen vorbei –, indem er den Legationsrat Jobst Anton von Hinüber (1718-1784), der auch Postmeister und Oberpostkommissar in Hannover war, mit dem Wegebau im Kurfürstentum Hannover beauftragte. Georg III. stellte für das Jahr 1764 eine Summe von 12.000 Talern für den Chausseebau zur Verfügung: eine Anschubfinanzierung, wie wir heute sagen würden.
Neben dem Wegbauintendanten v. Hinüber als Leiter der "Königlich-Churfürstlichen Wegbau-Intendance" wurde ein Ingenieuroffizier für die Erfüllung der technischen Aufgaben eingesetzt. Zivilingenieure gab es zu dieser Zeit noch nicht. Der erste hannoversche Wegbauoffizier war der Ingenieur-Oberstlieutenant Georg Josua du Plat (1738-1791), der von 1764 bis 1791 die Chausseebauarbeiten im Kurfürstentum Hannover leitete. Sein Nachfolger bis 1803 war Georg Sigmund Otto Lasius – ebenfalls Ingenieuroffizier.
Im Jahre 1764 wurde mit dem Bau der Chaussee zwischen Hannover und Hameln (der heutigen B 217) begonnen, ab 1765 wurde auch an der Chaussee von Hannover nach Kassel (heutige B 3) und ab 1769 auf der Chaussee von Hannover nach Nienburg (heutige B 6) gebaut.
Auch im Herzogtum Braunschweig und im Fürstbistum Hildesheim begann man um diese Zeit mit dem Chausseebau, um durch ihn "das Commerce zu verbessern".
Wie sahen diese ersten Chausseen im heutigen Niedersachsen aus? Das Straßengrundstück war insgesamt ca. 14 m breit, die Straßenkrone 9,60 m, von denen 3,60 m befestigt waren. Diese Befestigung bestand aus Randsteinen, zwischen denen eine Packlage aus groben Steinen, darüber Schotter und als Abschlussschicht Sand oder Grand (= Kies) aufgebracht wurde. Die Verdichtung dieses Straßenoberbaus überließ man dem Verkehr. Es war daher für Fuhrwerke streng verboten, Spur zu fahren, um Spurrinnen und Wagengeleise zu vermeiden.
Trassiert wurde geländenah (um Einschnitte und Dämme zu vermeiden) und im Grundriss nach dem Prinzip: die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist die Gerade. Dadurch konnten die Baukosten so gering wie möglich gehalten werden. Hindernisse in Form von Flüssen, Bächen und Gräben wurden nun durch feste Bauwerke überquert. Sehr häufig wurden gewölbte Brücken und Durchlässe aus Naturstein- oder Ziegelmauerwerk gebaut.
Auch heute noch finden sich verschiedentlich in unseren Bundesstraßen Zeugen jener Vergangenheit: In den Gewölbeschlusssteinen sind die Initialen "GR 3" und "Koeniglicher Wegbau" mit Jahreszahl gut zu erkennen. Auch etliche Meilensteine in Form schlanker pyramidaler Säulen sind noch heute sichtbare Zeugen der Zeit des ersten Chausseebaus.
Und eine wichtige – seit kurzem auch in der Bundesrepublik Deutschland wieder übliche – Finanzierungsquelle für den Straßenbau wurde erfunden: die Straßenmaut! Mit Gesetz vom 6. Mai 1768 wurde die Erhebung von Weggeldern, die Einstellung von Weggeldeinnehmern und die Errichtung von Weghäusern (Mautstellen) angeordnet. Einige von ihnen stehen auch heute noch.
In den 40 Jahren bis 1803 wurden rund 700 km Chausseen auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsen gebaut.